Interview im Lauerhof Kurier zum Gruppenangebot: „tatrelevante Lebens- und Beziehungsmuster“

Interview im Lauerhof Kurier

(gefangenen Zeitung der JVA Lübeck, Ausgabe Herbst/Winter 2015) link zum Gruppenangebot: link

Zum Gruppenangebot: „tatrelevante Lebens- und Beziehungsmuster“ oder „Warum Kriminalität keine Krankheit ist, aber ein Psychologe trotzdem hilfreich sein kann“

Lebens- und Beziehungsmuster, das sind Verhaltensmuster, Überzeugungen, Verhaltensweisen, die uns oft nicht bewusst sind, aber doch oder gerade deshalb uns und unser Verhalten maßgeblich bestimmen. Manch einer kennt vielleicht diese Momente, an denen man sich fragt, warum einem immer wieder dasselbe passiert oder obwohl man sich etwas vorgenommen hat, irgendetwas in einem hält einen doch immer wieder davon ab und man macht „automatisch“ das was man eigentlich nicht wollte. Manchmal ist es aber noch komplizierter…

Was ist das Ziel der Gruppe?

Eines der wichtigsten Ziele der Gruppe ist, ein tieferes Verständnis für sich und seine Lebensmuster zu bekommen. Erst wenn man weiß, wie der eigene „Autopilot“ programmiert ist, kann man anfangen, sich intensiver damit auseinanderzusetzen und Dinge verändern, die man verändern möchte. Optimalerweise entstehen dann mehr Entscheidungsmöglichkeiten. Also weg von „Ich bin halt so und ich weiß auch nicht warum, ich mache eben immer xy“ hin zu „Ich sehe mehrere Möglichkeiten, ich kann mich entscheiden, ich kenne die Vor- und Nachteile für die jeweilige Entscheidung“. Die Gruppe bietet die Möglichkeit, neben dem einfach darüber zu reden, mit Anderen die Dinge auch konkret erleb- und spürbar auszuprobieren und zu erfahren. Die Gruppe kann dann als „Spiegel“ dienen, in dem man einfach mehr sieht, als man für sich alleine sehen würde. Wer sich traut und sich darauf einlässt, hat also die Chance auf einen Blick hinter seine Kulissen. Das macht aber manchmal Angst und oft wollen die Leute das gar nicht so genau wissen, weil sie glauben, da könnte ja was schreckliches dabei heraus kommen. Dies ist leider die schwierigste Hürde auf dem Weg zur Lösung und zum inneren Frieden mit sich selbst. Einfach gesagt, wenn man im Nebel steht, sieht man einfach nicht gut, welche Wege es gibt und wo sie hinführen. Ohne den Nebel sehe ich vielleicht, dass der Weg zum Ziel meiner Wahl ein steiniger und mühsamer ist, aber mit dieser Klarheit kann man sich einfach besser vorbereiten, auf das, was da auf einen zu kommt.

Warum nicht nur Lebensmuster sondern Lebens- und Beziehungsmuster?

Persönlichkeitsentwicklung geschieht immer in Beziehung. Wenn ich als Kind Eltern habe, die eigentlich kein Kind wollten, mir also immer durch die Art wie sie zu mir in Beziehung treten, vermitteln: „Du bist hier falsch“, „Du störst“, „geh weg“ ist es ja naheliegend, dass ich, wenn ich das lange genug erfahren, nicht mehr glaube, dass ich jemanden eine Freude machen könnte. Das Problem dabei ist, dass das am Anfang ganz ohne Worte stattfindet, weil man selbst ja noch keine Worte hat (man lernt ja erst mit 2-3 Jahren das sprechen), so dass bis dahin schon eine Menge geschehen ist, das man aber nicht in Worten oder Gedanken erfassen kann. Aber auch wenn man dann sprechen kann, Kommunikation findet eben auch ohne Worte statt. Wir „lernen“ also uns selbst zu verstehen, in dem wir beobachten, wie sich andere uns gegenüber verhalten. Als Kind kann man leider nicht unterscheiden, was wirklich an einen selbst gerichtet ist und was eigentlich ein Problem der Eltern oder anderer Bezugspersonen ist. Stecken zum Beispiel Eltern selbst bis zu den Ohren in ihren eigenen Problemen, haben sie gar keine Zeit und keine Möglichkeit, die Not ihrer Kinder zu sehen. Diese Kinder „lernen“ dann oft (also glauben irrtümlicherweise), ich bin nicht wichtig, keiner interessiert sich für mich, etc. Wenn wir aber in der Tiefe glauben, es interessiert ja eh keinen, was wir tun, gehen wir natürlich auch anders mit anderen um, als wenn wir die Erfahrung gemacht haben, jeder wird respektiert und ernst genommen. Oft sind bei frühen negativen Erfahrungen Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Groll etc. sehr tief in uns verankert und übernehmen dann und wann auf sehr extreme Art die Kontrolle über uns. Oft sind das Botschaften an die Adressaten von damals, die dann aber heute an „Stellvertretern“ ausagiert werden.

Heißt das, dass im Grunde eigentlich immer die Eltern Schuld sind?

Nein, das wäre zu einfach. Ich denke, dass unsere Familien, in denen wir geboren worden sind, die Voraussetzungen schaffen, die mal besser, mal schlechter, mal gut und mal auch sehr bescheiden sein können. Aber irgendwann kommt auch der Punkt, an dem wir selbstverantwortlich werden und eigene Entscheidungen treffen können. Dabei ist es sicherlich leichter, wenn ich bessere Voraussetzungen habe. Es ist ungefähr so, als würde man z.B. in einem alten klapprigen LKW hinter dem Steuer aufwachen und man stellt fest, der LKW rast mitten auf eine Menschenmenge zu. Selbst wenn mich jemand hinter das Steuer geschleppt hat, bin ich jetzt aber trotzdem derjenige der das Steuer in der Hand hat. Vollgas auf die Menge zu zu fahren, mit der Begründung, es hat mich ja schließlich jemand hinter dieser Steuer gesetzt, wäre dann doch zu einfach. Der Unterschied ist aber, Leute die gute Voraussetzungen haben, kennen die physikalischen Bedingungen des LKWs und haben die Fahrschule und vielleicht sogar ein ADAC Sicherheitstraining gemacht. Andere müssen während der Fahrt sich selbst die wichtigsten Dinge aneignen. Die Gruppe will genau hierbei unterstützen. Also etwas über den LKW und das Fahren vermitteln. Die Route bestimmen Sie natürlich trotzdem selbst.

Was steckt hinter der Gruppe? Gibt es bestimmte Methoden oder Konzepte?

Die Gruppe basiert auf systemischen Konzepten und basiert demnach auf der Systemtheorie. Dies ist im Grunde eine sehr komplexe Theorie. Stark vereinfacht kann man sagen, dass folgende Grundgedanken dahinter stecken: Jeder Mensch, jede Familie, jede Gruppe oder Organisation „lernt“ in dem er oder sie die Umwelt beobachtet und eigene Schlüsse daraus zieht und versucht möglichst sinnvoll auf das zu reagieren, was um einen herum passiert. Da das alles immer auch auf einer Vergangenheit sprich einer Erfahrung basiert, die wir gemacht haben, sehen wir alles, was wir sehen, eben immer auch durch die Brille unserer Geschichte. Wenn ich z.B. in meiner Geschichte viel Gewalt erlebt habe, dann beurteile ich auch heute die Situationen typischer Weise durch eine Stärker / Schwächer oder Kämpfen oder Flüchten Brille und in der Regel weniger durch eine „Harmonie oder wie-können-wir-das-gemeinsam-lösen-Brille“. Die Brille die wir heute haben, war in der Vergangenheit manchmal nicht nur sinnvoll sondern vielleicht sogar Überlebensnotwendig. Aber nicht jede Brille ist in jeder Situation die richtige. Man würde ja auch nicht Nachts mit einer Gletscherbrille, die man irgendwo im ewigen Eis getragen hat, um nicht Schneeblind zu werden, mit 200km/h auf der Autobahn fahren. Das Schauen mit verschiedenen Brillen auf die eigene Geschichte ist ein wichtiger Aspekt, um etwas Neues über sich zu erfahren. Dafür kann man zum Beispiel die Methode der „Familienaufstellung“ nutzen. Hier wird, wie in einem Rollenspiel, nur deutlich intensiver, das eigene Beziehungsgeflecht nachgestellt. Nur das man dabei nicht selbst mittendrin steht, sondern sich das Ganze von außen ansieht, weil jemand anderes für einen als Stellvertreter auf der eigenen Position steht. Das ist ungefähr so, als würde man die eigene Familie von damals inklusive sich selbst, durch das Wohnzimmerfenster von außen betrachten. Weiterhin kommen viele Themen dran, die irgendwie immer eine Rolle spielen, über die man aber selten so intensiv nachdenkt. Das sind z.B. solche Themen wie: „Wie gehe ich mit Regeln um?“, „Wie gehe ich mit Macht/Ohnmacht/Zwang um“?, „Was mache ich in Krisen? Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt?, Wie machen das die Anderen?“. Ich denke im Großen und Ganzen bekommt man einen großen Werkzeugkasten, den man für sich selbst ausprobieren kann. Was einem jetzt konkret was bringt, muss dann jeder für sich selbst entschieden.

Das ist übrigens auch ein zentrales Element: Sie sind ja verantwortlich für Ihr Leben. Es ist ja auch Ihr Leben. Also können nur Sie derjenige sein, der eine Lösung findet, die zu Ihnen passt. Das geht aber nur, wenn Sie auch dass mit in die Gruppe bringen, was sie wirklich beschäftigt. Würde jemand nur das zum Besten geben, was er glaubt, was sich für den Psychologen gut anhört, würde er damit seine und die Zeit aller anderen Anwesenden verschwenden.

Wer kann / darf mitmachen?

Im Grunde jeder, der einen Antrag stellt und wirklich etwas für sich erarbeiten möchte. Wir achten darauf, dass jeder wirklich etwas bearbeiten will, weil das wichtig für das Vertrauen in der Gruppe ist. Wenn die Gruppe den Eindruck hat, jeder will hier etwas bearbeiten und bringt das auch mit ein, entwickelt sich auch ein Klima das von echtem Miteinander und echter Hilfsbereitschaft getragen wird. Das ist wichtig für die Gruppe, insofern achte ich darauf, dass alle auch wirklich ein Thema haben und das auch einbringen. Trotzdem darf jeder bestimmen, wie weit er sein Thema in die Gruppe einbringt. Üblicherweise gilt: Je mehr, desto hilfreicher, aber das entscheiden Sie selbst. Bei konkreten Fragen kontaktieren Sie am besten Dipl. Psych. Frau Musolff.

Wer bzw. wann braucht man überhaupt einen Psychologen?

Als Psychologe muss man natürlich sagen: „Alle, Immer“. Das ist natürlich ein Scherz. Aber im Ernst, ich glaube, dass ist ein grundsätzliches Problem, weil es hier sehr viel Unklarheiten und teilweise Irrtümer darüber gibt, was Psychologen eigentlich machen. Es gibt ja auch nicht „den Psychologen“. Jeder hat eigene Schwerpunkte und andere Konzepte. Wenn man Psychologie als die Wissenschaft vom menschlichen Fühlen, Denken und Handeln begreift wird zumindest schon mal klar, dass sich Psychologen mit einem sehr großen Thema beschäftigen. Wissenschaft klingt aber manchmal sehr nach Leuten die im Labor im weißen Kittel irgendwas machen, was nichts mit der Realität zu tun hat. Psychologie hat ja nur dann Sinn, wenn die wissenschaftliche Erkenntnis verbunden mit der Praxis, also dem echten Leben, genutzt wird. Oft wird auch das Konzept von psychischer Krankheit falsch verstanden. Krankheit ist allgemein als ein Zustand des Leidens definiert. Im Gegensatz zum Schnupfen, der „einfach so“ über einen kommt und dann nur noch der Arzt, der Apotheker oder die Zeit helfen kann, ist es bei psychischem Leid so, dass sie selbst die aktive Rolle beim Verändern Ihrer Ansichten, Einstellungen und Verhaltensweisen haben, wir Psychologen ihnen aber eine gut ausgerüstete Do-it-Yourself Werkstatt zur Verfügung stellen. Wir können nämlich nicht einfach so in ihrem Kopf rumschrauben, wie leider oft geglaubt wird. Ja, wir helfen natürlich bei psychischem Leid, aber das ist nicht der einzige Grund. Die Verbesserung des eigenen Wohlbefindens oder die Verbesserung der eigenen zwischenmenschlichen Fähigkeiten ist genauso gut ein Thema. Eine Menge Manager und Führungskräfte nutzen Psychologen, um erfolgreicher im Leben und im Job zu sein. Das alte Klischee, „wer zum Psychologen geht, müsse ordentlich einen an der Marmel haben“, existiert eigentlich nur noch in den Köpfen derer, die nicht wissen, was Psychologen wirklich tun.

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