Was kann eine Gesellschaft vom Coronavirus lernen?

Management und Entscheidungen

Eine Pandemie ist ein komplexes, dynamisches Geschehen mit vielen unbekannten Variablen. Wann mutiert der Virus? Wie oft? Wird er dadurch gefährlicher oder harmloser? Wie verhält sich die Infektionsgeschwindigkeit zur Sterblichkeit? Wie verhalten sich die Menschen in der jeweiligen Situation? Wie lange dauert es, bis eine Maßnahme oder das Aufheben einer Maßnahme Wirkung zeigt? – Dies sind nur einige Variablen, die wir, wenn wir sie denn kennen, immer erst rückwirkend wissen. D.h. wir müssen Annahmen über eine Entwicklung treffen, die sich nicht linear verhält. Das ist schon schwer genug, nun haben wir aber auch noch Zeitdruck. Das sogenannte „Window of Opportunity“ meint, das man am Anfang einer Entwicklung noch mit relativ wenig Mitteln oder auch Schaden handeln kann. Je später man handelt, desto höher der Schaden, bis dahin, wo es keine Handlungsoptionen mehr gibt. Je früher man handelt, desto weniger ist aber auch klar, ob die Maßnahme überhaupt notwendig ist, oder ob der Zustand vielleicht gar nicht so schlimm wird. In der Nachschau haben wir natürlich dann auch noch das Präventionsparadox, d.h. weil wir etwas unternommen haben, wissen wir gar nicht, ob und wie schlimm es geworden wäre, wenn wir nichts gemacht hätten, zumindest nicht, wenn wir keine Vergleichsgruppe haben, die eine genau gleiche Ausgangslage hatte, aber keine Maßnahmen getroffen worden sind.

Das alles ist natürlich nicht neu und wurde in einem unterhaltsamen Buch von Professor Dietrich Dörner in den frühen 90ern in Experimenten mit einer fiktiven Stadt und einem fiktiven Land und vielen Versuchspersonen aus Politik, Management und Wirtschaft erforscht. Wer das Buch gelesen hat, kann viele parallelen in der aktuellen Situation erkennen….

siehe: link zum ebook Dörner, D. (2003). Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen. ro ro ro Verlag. ISBN: 3499615789

Moral und Demokratie

“Ich kenne keinen sicheren Aufbewahrungsort für die ultimativen Befugnisse der Gesellschaft als die Menschen selbst; und wenn wir denken, dass sie nicht genug aufgeklärt sind, um ihre Kontrolle mit einer gesunden Vernunft auszuüben, ist das Heilmittel nicht, die Kontrolle von ihnen zu nehmen, sondern ihre Vernunft durch Bildung zu fördern. Dies ist das wahre Korrektiv des Missbrauchs der Macht.”

Thomas Jefferson, 3. Präsident der USA

So richtig, wie die Aussage von Jefferson auch ist, muss man sich jedoch die Frage stellen, ob es in der modernen Welt überhaupt noch möglich ist, dass jeder einzelne in unserer Gesellschaft über so viel Bildung und Wissen verfügt, wie nötig wäre, um zu allen Themen die uns beschäftigen eine fundierte Meinung zu entwickeln. Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass unterschiedliche Interessensgruppen bewusst falsche Informationen produzieren und sich mittlerweile unterschiedliche Gruppen gegenseitig vorwerfen, dass die anderen mit falschen Informationen agieren, dann erscheint der Grundkonsens den eine vernünftige Diskussion im Sinne eines demokratischen Miteinanders benötigt, unmöglich geworden zu sein. Ein Zustand, der wohl bildhaft am besten mit der „babylonischen Sprachverwirrung“ beschrieben werden kann. Und so kann der Diskurs, Angst vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems versus Angst vor der Einschränkung wichtiger Grundrechte (und vor allem Grundbedürfnisse) insofern gar nicht sinnvoll geführt werden, weil es gar keine gemeinsame Grundlage an Fakten gibt, die man aus unterschiedlichen Perspektiven bewerten könnte.

von den Dilemmas und wofür sie gut sind

Zweifelsohne befinden wir uns in einem oder mehreren Dilemmas. Wenn wir uns von der Aufklärung verabschieden, sind wir in einer Welt voller Meinungen. Die Meinungen des Mittelalters waren, wenn die Ernte schlecht ist, muss man eine Hexe verbrennen. Wissenschaftlich fundiert war das nicht. Nun haben Teile der Gesellschaft eine gewisse Wissenschaftsmüdigkeit entwickelt, wohl auch, weil die Wissenschaft zu lange im Elfenbeinturm gesessen hat und viel zu wenig Transparent über eigene Irrungen und Wirrungen und das was man alles nicht weiß kommuniziert hat. Dennoch, wir müssen also um bei Jefferson zu bleiben, eine aufgeklärte Gesellschaft haben, damit eine Demokratie funktioniert. Wie viel nicht wissenschaftlich/aufgeklärte Meinungen kann aber nun eine Demokratie zu lassen, ohne sich selbst den Teppich unter den Füßen weg zu ziehen?

  • Was also ist im Sinne einer aufgeklärten Gesellschaft ein gültiges Argument? Konkret welche Studien sind nun „richtige“ Studien und welche nicht?
  • Wie viel „Meinung“ ist möglich, ohne die Basis der Demokratie, die Aufklärung, zu gefährden?
  • Wie viel „Macht“ darf ausgeübt werden, um im Sinne Jeffersons die Aufgeklärtheit zu bewahren und zu fördern?

Nachdem wir diese Punkte geklärt haben, könnten wir uns mit den Inhaltlichen Dilemmas befassen:

  • Wie berechtigt ist die „Angst vor einem Kollaps des Gesundheitssystems“ vs wie berechtigt ist die „Angst vor einem Verlust der Grundrechte durch die Pandemiemaßnahmen“ oder die „Angst vor wirtschaftlichem Schaden“?
  • Wie verteilen wir die Lasten gerecht: Gesundheit, Grundrechte/Grundbedürfnisse und wirtschaftlichem Schaden?
  • Wo schneiden sich die Linien „mehr Sicherheit“ und „Einschränkung elementarer Grundbedürfnisse, die das Leben lebenswert machen?

Im Sinne von Professor Georg Lind (Moral ist lern- und lehrbar) sind es genau solche Dilemmas die wir diskutieren und dabei die jeweiligen Argumente mit unseren abgleichen müssen, um uns selbst moralisch weiter zu entwickeln.

Krise, Kreativität und Resilienz

Eine Krise ist ein Zustand, in dem die üblichen Lösungsmechanismen nicht mehr funktionieren oder keine Vorhanden sind. Aus Sicht der Resilienz ist die Normalität die Summe aller bewältigten Krisen. Ein Beispiel: Wenn wir als Kinder zum ersten einkaufen gehen sollten, dann war das sicher für viele eine kleine Krise, weil wir gar nicht wussten, was da auf uns zukommt und wir wir dann damit umgehen sollen. Aus Sicht eines Erwachsenen, der diese Krise gemeistert hat, ist das Einkaufen die Normalität. Natürlich gibt es unterschiedliche Krisenarten (Entwicklungskrisen, Einschränkungskrisen, etc). Aktuell haben wir es natürlich viel mehr mit Einschränkungen auf vielen Gebieten zu tun. Krisen lösen alle möglichen irrationalen Gefühle aus, Angst, Ohnmacht, Wut, etc. Oftmals eine wilde Achterbahnfahrt. Der erste Gedanke in einer Krise: „ich wünschte, es wäre alles so wie vor der Krise“. – Allerdings erzeugt dies noch mehr Ohnmacht, da wir nicht in der Zeit reisen können. Was also tun? Früher oder später haben wir die bewältigten Krisen akzeptiert und angefangen, diesen einen Sinn zu geben. Meistens in dem wir daran irgendwie gewachsen sind, neue Fähigkeiten oder aber neue Sichtweisen entwickelt haben, gelernt haben, manches zu akzeptieren, und viele andere Wege. Trotzdem ist eine Krise kein Ereignis, das man sich herbei sehnt. In einer kollektiven Krise wie der aktuellen, könnten wir dennoch als Gesellschaft wachsen und vieles neu gestalten. Doch zunächst müssen wir bereit sein, uns auf die Krise einzulassen. Doch das können wir nur gemeinsam und solidarisch. Vielleicht könnten wir das zu aller erst wieder erlernen?

Man kann sich ja fragen, was man seinen Enkeln später über die Pandemie erzählen möchte. wäre doch schön, wenn wir sagen könnten: „Wir Menschen haben damals alle gemeinsam die Krise gemeistert“

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